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Kritische Geographie Informationen 2/99
2001 gibt es die letzte Volkszählung
Derzeit laufen die Vorbereitungen des Österreichischen Statistischen
Zentralamts (ÖSTAT) für die nächste Volkszählung im Jahr 2001. Es
wird dies die letzte derartige Veranstaltung für längere Zeit sein.
Das (vorläufige) Ende von Volkszählungen ist jedoch kein Erfolg
von KritikerInnen an umfassender staatlicher Datensammlung, sondern
eine Rationalisierungsmaßnahme im Zug einer weitreichenden Neuordnung
personenbezogener Informationssammlung, -speicherung und -verarbeitung
durch den Staat.
Seit 1869 werden in Österreich mehr oder minder regelmäßig demografische
und sozio-ökonomische Merkmale der innerhalb des Staatsterritoriums
lebenden Menschen im Rahmen von Großzählungen erhoben. Ziel dieser
"Volkszählungen" war und ist es stets, Informationsmaterial über
Strukturen und Entwicklungen zu erhalten, die für planerische und
politische Maßnahmen benötigt werden. Die fünf Volkszählungen nach
1945 dienten staatlicher Politik und Verwaltung u.a. dazu, einen
Überblick über räumliche Disparitäten zu erhalten, Informationen
für Prognosen über die künftige demografische, soziale und wirtschaftliche
Entwicklung zu beschaffen und Datengrundlagen für den Finanzausgleich
zwischen Bund, Ländern und Gemeinen sowie die Berechnung der Wahlzahl
zur Mandatsverteilung bei Nationalrats- und Landtagswahlen zu gewinnen.
Mit der Durchführung der Volkszählungen war das ÖSTAT als dem Kanzleramt
unterstellte Bundeseinrichtung beauftragt. Das ÖSTAT besorgte auch
die Rohdatenverarbeitung und -speicherung und stellte der Öffentlichkeit
Auswertungen (allerdings zuletzt erst vier bis fünf Jahre nach Durchführung
der Zählung) bereit.
Im Gegensatz zu anderen Staaten (etwa der BRD) entzündete sich
in Österreich nur begrenzt Widerstand gegen dieses Instrument staatlicher
Datenbeschaffung. Die Verweigerungsrate und der Anteil offensichtlich
falscher Angaben bei Volkszählungen war gering. Ein Grund hierfür
mag auch sein, daß es nie geplant war - und auch nie durchgeführt
wurde -, Daten aus der Volkszählung mit anderen personenbezogenen
Informationen aus der staatlichen Verwaltung zu koppeln und dieses
Datenset für polizeiliche oder administrative Zwecke zu verwenden.
Vielmehr haben Polizei, Gemeinden, Sozialversicherungsträger, Kirchen
und andere Institutionen ihre eigenen Personenstandsregister mit
je unterschiedlichen individuenspezifischen Daten erstellt, fortgeführt
und für ihre Kontroll- und Verwaltungszwecke genutzt.
Dies soll sich nach 2001 ändern. Anfang Mai verabschiedete der
Ministerrat einen Regierungsentwurf zu einem neuen Bundesstatistikgesetz,
der u.a. vorsieht, daß das ÖSTAT künftig anstelle der direkten Befragung
von Personen verstärkt bereits existierende Personenregister und
Daten von Verwaltungseinrichtungen zur Datengenerierung heranziehen
soll. Im Zug der Volkszählung 2001 soll eine bis dahin aufzubauende
zentrale Datenbank, die Basisinformationen über jede/n BewohnerIn
Österreichs enthält, ergänzt und aktualisiert werden. Für die Zukunft
ist dann vorgesehen, diese Personendaten laufend durch Heranziehen
anderer Datenquellen fortzuführen und die Datenbank zu laufenden
Analysen über die demografische und sozio-ökonomische Entwicklung
der österreichischen Bevölkerung zu nutzen.
Die derzeitige Planung hierzu sieht folgendermaßen aus (vgl. Statistische
Nachrichten 3/99):
- Im Lauf des Jahres 1999 wird im Innenministerium ein "Zentrales
Melderegister" (ZMR) eingerichtet, das alle polizeilichen, auf
Gemeindeebene erfaßten Meldungen zusammenfaßt (d.h. die Daten
von allen Personen, die derzeit von der staatlichen Verwaltung
im Zug des Meldewesens erfaßt sind). Die im ZMR gespeicherten
Daten umfassen die auf den Meldezetteln anzugebenden Informationen.
- Im Lauf des Jahres 2000 einigen sich die Kommunen über den
Hauptwohnsitz jener Personen, die von mehreren Gemeinden jeweils
als in ihrer Gemeinde hauptgemeldet geführt werden.
- Im Mai 2001 findet die Volkszählung (zum letzten Mal) statt.
Neben dem statistischen Erhebungsblatt ("Personenblatt") wird
jede/r auch zum Ausfüllen von Formularen auf Grundlage des Meldegesetzes
("Erhebungsblatt § 17 MeldeG") verpflichtet, in deren Rahmen eine
"Neumeldung" erfolgt sowie die "Wohnsitzqualität" (d.h. Informationen,
aus denen rückgeschlossen werden soll, ob ein Haupt- oder Nebenwohnsitz
vorliegt) festgestellt wird. Das Personenblatt wird vom ÖSTAT
verarbeitet und gespeichert, die Melde-Formulare gehen an die
Meldebehörden.
- Die "Neumeldungen" dienen zur Aktualisierung des ZMR im Innenministerium.
Die Volkszählungsdaten (sowie die parallel erhobenen Daten der
Häuser- und Wohnungszählung) werden dazu genutzt, um ein "Bildungsregister"
(personenbezogene Daten zur Ausbildung) sowie ein "Wohnungsregister"
(Verknüpfung von Wohnungsdaten mit den Personendaten) zu erstellen.
- Alle drei "Register" (ZMR als "Personenregister", sowie Bildungs-
und Wohnungsregister) werden nach 2001 laufend fortgeführt. Veränderungen
im Gebäude- und Wohnungsbestand werden ebenso nachgeführt wie
Bildungsabschlüsse (durch Meldungen der Bildungseinrichtungen).
Die wichtigste Fortführungstätigkeit betrifft allerdings das (im
Innenministerium angesiedelte) ZMR, das anhand von anderen aktuell
gehaltenen "Verwaltungsregistern" (z.B. Datenbank der Sozialversicherungsträger,
aber auch Daten von Energieversorgungsunternehmen, Telefongesellschaften
etc.) laufend abgeglichen werden soll. Ziel ist es vor allem,
"Karteileichen" (d.h. Personen, die - ohne sich abgemeldet zu
haben - umgezogen sind) und "Illegale" (d.h. Personen, die an
ihrem Aufenthaltsort nicht polizeilich gemeldet sind) aufzudecken
und Veränderungen in wichtigen "Eigenschaften" der erfaßten Personen
zu berücksichtigen.
- "Volkszählungen" werden in Hinkunft durch Auswertungen (und
Verknüpfungen) dieser Register durchgeführt.
Sehr ähnliche Konzepte zur laufend aktuell gehaltenen datenmäßigen
Erfassung der gesamten Bevölkerung existieren auch in der BRD und
der Schweiz. In der BRD hat man nach der durch Boykottmaßnahmen
wenig wirkungsvollen (und zuvor bereits um sechs Jahre verschobenen)
Volkszählung 1987 es aufgegeben, noch Volkszählungen in der "traditionellen"
Form durchzuführen, sondern wird ebenfalls auf "Registerzählungen"
(im wesentlichen durch Zusammenstellung von dezentral geführten
Melderegistern der Länder und Kommunen) übergehen. In der Schweiz
wird - vergleichbar mit den österreichischen Plänen - im Jahr 2000
eine letzte traditionellen Volkszählung als Grundlage für Registerzählungen
durchgeführt.
Was ist nun der Hintergrund dieser Umstellung der staatlichen Statistik?
Auf der Oberfläche wird mit Kosteneinsparungen argumentiert, um
die es aber wohl nicht wirklich gehen kann, da die laufende Fortführung
mehrerer Register und die häufigere kombinierte Auswertung der Register
keine großen Einsparungen gegenüber den bisherigen 10-jährigen Volkszählungen
darstellt. Viel plausibler erscheint, daß mit dem Aufbau umfassender
personenbezogener Register und deren Einrichtung und Fortführung
im Innenministerium Polizei- und Kontroll-Interessen bedient werden
sollen. Im Zusammenhang mit den jüngst geschaffenen neuen Ermittlungsmöglichkeiten
für die Polizei (Rasterfahndung), die in den nächsten Jahren vermutlich
weiter ausgebaut werden, stünde den staatlichen Sicherheitsbehörden
mit dem ZMR ein äußerst wirkungsvolles Instrument zur Verfügung.
Eine Verknüpfung von Meldedaten, Wohnungsdaten, sozio-ökonomischen
Personendaten und Daten von anderen Institutionen, die routinemäßig
und jederzeit durch Polizeistellen durchgeführt werden könnte, erweitert
die Fahndungs- und Überwachungsmöglichkeiten gewaltig.
Die Verknüpfung der Volkszählung 2001 mit einer Neumeldung aller
in Österreich lebenden Menschen ist vor dem Hintergrund vorgesehen,
daß die derzeitigen Meldedaten von der Verwaltung (Polizei, Finanzverwaltung
etc.) vor allem in Großstädten als qualitativ unzureichend empfunden
werden. Die erste Probezählung zur Volkszählung 2001 ergab in einigen
Großstadtgebieten große Inkonsistenzen zwischen den Meldedaten und
den durch die Zähler vor Ort vorgefundenen Verhältnissen. Teilweise
waren in den Meldedaten bis zu 20 % aller vorgefundenen Personen
nicht erfaßt.
Die Entwicklung, die sich hier abzeichnet, stellt eine neue Qualität
der datenmäßigen Erfassung der Bevölkerung dar. Im Vergleich zu
den umfassenden personenbezogenen Datenbanken, die in den nächsten
Jahren in Österreich aufgebaut werden sollen, sind die bisherigen
Formen der Datenerfassung und -verarbeitung harmlos gewesen. Während
sich die über traditionelle Volkszählungen erhobenen Daten nur sehr
bedingt für polizeiliche Einsatzfelder eignen und auch bisher nicht
hierfür genutzt wurden, ist dies bei dem ZMR im Verein mit den anderen
Registern wesentlich anders:
- Dem Innenministerium und der Polizei stehen laufend aktualisierte
Daten zum Wohnstandort aller Personen zur Verfügung, die eine
hervorragende Basis für Rasterfahndungen, staatspolizeiliche Aktivitäten
und Beobachtung von politisch verdächtigen Personen darstellen.
- Zu jeder Person liegen demografische und sozio-ökonomische
Informationen vor, die für unterschiedliche Auswertungen, standardmäßig
in jedem Fall zur Bestimmung der Wahlzahl (für Nationalrats- und
Landtagswahlen) und der "Volkszahl" (für den Finanzausgleich zwischen
Bund, Land und Gemeinden) herangezogen werden. Die Verknüpfung
des ZMR mit einem Wohnungsregister erlaubt eine wesentlich weiterreichende
"Durchleuchtung" der einzelnen Personen, als dies bisher der Polizei
anhand von Meldedaten möglich war.
- Die Kontrolle des Datenschutzes ist bei einer Verwaltung bzw.
Handhabung der Daten durch Polizeistellen wesentlich schlechter
gewährleistet als bei einer Verwaltung durch das ÖSTAT.
Unter dem Deckmantel einer Vereinfachung der amtlichen Statistik
ist somit eine vollständige Neuorganisation der Erfassung und Auswertung
personenbezogenen Daten durch die Behörden vorgesehen. Gegenüber
dem bisherigen Stand stellt diese Neuorganisation eine wesentliche
Ausweitung und Detaillierung des Datenumfangs dar. Die Einsatzmöglichkeiten
der neuen Datenbanken für staatliche Stellen sind dabei vielfältig
und erlauben vollkommen neue Anwendungsfelder. Eine Umsetzung der
derzeitigen Planung stellt einen weiteren Schritt in Richtung eines
umfassenden Überwachungsstaates dar. Es gilt daher, den Aufbau derartiger
staatlicher Überwachungs- und Kontrollinstrumente so weit es geht
zu verhindern.
Die Redaktion
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